Bei der Talentsichtung im Fußball muss man die aktuellen Fähigkeiten und das Entwicklungspotenzial von Talenten berücksichtigen. So kann man das sportliche Talent von Kindern anhand verschiedener Kriterien bewerten. Die Bewertung der fußballspezifischen Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen erfolgt grob anhand von Kriterien, aus den Bereichen Taktik, Technik, psychosoziale Kompetenzen und Ausdauer.
Im taktischen Bereich werden das individualtaktische Angriffsverhalten vor, während und nach ballnaher Aktion sowie das Abwehrverhalten in verschiedenen Spielsituationen bewertet. Hierbei ist die Fähigkeit entscheidend, sich richtig zu orientieren, angemessene Entscheidungen zu treffen und sich situativ korrekt zu verhalten. Die Spielintelligenz zeigt sich in einem situationsangemessenen Umschaltspiel, einem richtigen Verhalten im gruppentaktischen Kontext und der Fähigkeit, gute Lösungen auch in engen Spielsituationen zu finden.
So gelingt es, grundlegendes Talent in einer Talentsichtung zu identifizieren.
Inhalt:
- Taktische Talentaspekte
- Technische Talentaspekte
- Psychosoziale Kompetenzen
- Entwicklungspotenzial
- Talenttypen im Fußball
Taktische Aspekte in der Talentsichtung
Angriffsverhalten (Individualtaktik) | ||
Individualtaktisches Angriffsverhalten vor ballnaher Aktion | Sich so orientieren können, dass eine angemessene Entscheidung getroffen werden kann. Sich so anbieten / freilaufen können, dass man anspielbar ist oder einen Raum öffnet, in dem ein Mitspieler anspielbar wird. | |
Individualtaktisches Angriffsverhalten während ballnaher Aktion | Den Ball mit dem ersten Kontakt entsprechend der Situation spielen können, sich orientieren können, solange man am Ball ist, sich situationsangemessen entscheiden können. | |
Individualtaktisches Angriffsverhalten nach ballnaher Aktion | Sich nach der Aktion sofort wieder auf die nächste Spielsituation einstellen können. | |
Abwehrverhalten (Individualtaktik) | ||
Individualtaktisches Abwehrverhalten vor ballnaher Aktion | Einschätzen können, welche Spielsituation auf einen zukommen und dementsprechend die Abwehraktion vorbereiten. Sich bei ballerwartenden Spielern richtig verhalten können (Positionierung und Reaktion). | |
Individualtaktisches Abwehrverhalten während ballnaher Aktion | Sich bei dribbelnden Gegenspielern richtig verhalten können. Sich bei Gegenspielern, die mit dem Rücken zu einem stehen, situationsgemäß richtig entscheiden können (Positionierung und Reaktion). | |
Individualtaktisches Abwehrverhalten nach ballnaher Aktion | Sich nach Ballgewinn oder nach einem Überspielen situationsangemessen richtig verhalten können. | |
Spielintelligenz (Gruppentaktik) | Ein passendes Umschaltspiel nach Ballgewinn und -verlust haben, sich in gruppentaktischen Spielsituationen richtig verhalten. Auch für enge Spielsituationen gute Lösungen finden (Zeit-, Raum- und Gegnerdruck). Spielübersicht zeigen und schnelle erfolgreiche Spielfortsetzungen umsetzen. |
Technik / Stoßtechniken in der Talentsichtung
Im Bereich der Technik werden die Stoßtechniken mit dem dominanten und nicht dominanten Fuß sowie der Kopfball bei einer Talentsichtung beurteilt. Dabei ist die Fähigkeit, verschiedene Techniken situationsgemäß und erfolgreich einzusetzen, von überragender Bedeutung.
Passen und Schießen mit dem starken Fuß | Verschiedene Techniken einsetzen. Bälle variabel und genau spielen in der notwendigen Geschwindigkeit. In Spielsituationen mit dem starken Fuß richtig passen und schießen können. |
Passen und Schießen mit dem schwachen Fuß | Verschiedene Techniken einsetzen. Bälle variabel und genau spielen in der notwendigen Geschwindigkeit. In Spielsituationen mit dem schwachen Fuß richtig passen und schießen können. |
Kopfballtechnik | Kopfballtechniken richtig einsetzen, genau köpfen. Gut koordiniert Springen zum Kopfball (richtiges Timing). |
Ballannahme | Anwenden der richtigen Ballannahme- / Ballmitnahmetechnik unter Zeit-, Raum- und Gegnerdruck, um eine erfolgreiche Spielfortsetzung zu ermöglichen |
Dribbling | Situationsangemessen und variantenreich dribbeln und fintieren können, auch unter Zeit-, Raum- und Gegnerdruck. Dribbeln zur Ballsicherung, Raumüberwindung und Gegnerüberwindung. |
Psychosoziale Kompetenzen und Ausdauer
Die psychosozialen Kompetenzen in der Talentsichtung umfassen motivationale, volitionale (Willens-) und soziale Kompetenzen. Sie helfen, Aussagen über den Charakter des Kindes im Sport zu treffen. Dieser ist Voraussetzung für eine anhaltende Weiterentwicklung der sportlichen Leistung.
Motivationale Kompetenzen | Sich selbst realistische aber fordernde Ziele setzen. Eigenverantwortlich trainieren und spielen und mit Freude und aus eigenem Antrieb lernen können. |
Volitionale Kompetenzen | Sich fokussieren / konzentrieren und selbst steuern können. Einsatzbereitschaft zeigen und Ziele (auch gegen Widerstand) verfolgen können. Ein angemessenes Selbstvertrauen haben. |
Soziale Kompetenzen | Sich in ein Team integrieren können. Situativ Führung übernehmen oder sich führen lassen können. |
Ausdauer | Physische und psychische Belastbarkeit während der gesamten Dauer von Trainingseinheiten und Wettspielen ohne Leistungseinbußen aushalten können. |
Entwicklungspotenzial ist bei der Talentsichtung wichtiger als Leistungsfähigkeit
Es gibt viele vergleichsweise gute Spieler, deren Entwicklungspotenzial aber möglicherweise nicht mehr so groß ist, dass es sich um wirkliche Talente handelt. Das ist oft der Fall bei körperlich sehr weit entwickelten (akzelerierten) Spielern, die durch ihre körperliche Präsenz sehr erfolgreich im Wettspiel sind.
Auch Kinder, die ein hohes Trainingsalter (wie lange sie schon gezielt in der Sportart trainieren) haben, sind im Vergleich ihren Alterskollegen überlegen. Um das Talent beurteilen zu können, müssen diese Faktoren berücksichtigt werden. Auch das Niveau, auf dem das Kind spielt / trainiert, sollte man berücksichtigen.
Ein weiterer wichtiger Faktor ist die sogenannte Bewegungsbiografie eines Kindes. War es zum Beispiel in einer anderen Sportart erfolgreich, kann das z. B. auf vorhandenes koordinatives Talent hinweisen bzw. auf gute Reaktion auf Trainingsreize. Hier wird die Lern- und Trainingssensitivität des Sportlers beleuchtet, insbesondere im Hinblick auf die bisherige Weiterentwicklung. Das gibt Aufschluss darüber, wie ein Athlet auf verschiedene Trainingsmethoden und Lernansätze reagiert hat und inwiefern sich seine Fähigkeiten im Laufe der Zeit entwickelt haben.
Zusätzlich sollte die medizinisch-orthopädische Belastbarkeit des Kindes betrachtet werden. Man schaut auf gesundheitliche Einschränkungen oder besondere Aspekte, die bei weiteren Trainings- und Entwicklungsplänen berücksichtigt werden sollten. Wichtig ist dabei die Verletzungsbiografie, Fehlstellungen, sonstige körperliche Einschränkungen.
Wenn man beurteilen möchte, ob ein Kind noch Entwicklungspotenzial hat, sollte man unter anderem folgende Punkte betrachten:
- Biologisches Alter:
Ist ein Kind spätreif, so dass es erhebliche körperliche und athletische Reserven besitzt? - Trainingsqualität und -quantität
Hat das Kind bisher wenig fußballspezifisches Training absolviert, womöglich unter geringer fachlicher
Anleitung und schlechten Trainingsbedingungen? - Lern- und Trainingssensitivität:
Lernt das Kind aus vorher begangenen Fehlern? Kann es Bewegungsabläufe nach Demonstration
sofort verinnerlichen und nachmachen? Versteht das Kind schnell und korrekt die ihm gestellten Aufgaben?
Erst mit noch deutlich vorhandener Entwicklungsreserve kann man ein Kind als Talent bezeichnen. Ist sie nicht vorhanden, ist es einfach nur leistungsstark.
Talent hat viele Elemente, Kriterien und Ausprägungen (Typen)
Etwas griffiger und überblickhafter wird die Talendefinition, wenn man sich anschaut, welche überragenden Fähigkeiten bzw. Talentelemente einige Kinder haben. Hier ergeben sich Spielertypen, die nicht alle oben genannten Kriterien erfüllen, aber in einzelnen Aspekten herausragen und dadurch das Spiel entscheidend beeinflussen können. Diese fallen ggf. bei der Talentsichtung auf.
Talenttyp / Spielertyp | herausragende Leistungsaspekte | Spielweise / Verhalten | Beispiele |
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Stratege | Qualität und Schnelligkeit der Wahrnehmung und Entscheidung unter Druck; findet immer eine Spielfortsetzung | Antizipiert Anschlussaktionen und Spielsituationen Optimale Vororientierung (Raum, Mitspieler, Gegner) Schulterblick und offene Stellung | Pirlo, Scholes |
Dribbler | dynamisches Dribbling Ballverarbeitung erfolgreiches 1 gegen 1 | Enge Ballführung, schnelle Richtungswechsel Beidfüßige Einsatz der Techniken Beherrscht viele Techniken Stabilität / Druckresistenz der Technik | Neymar, Vinicius Jr., Coman, Sané |
Sprinter | Schnelligkeit (zyklisch/ azyklisch) Kraftvoll Sprintausdauer | Immer aktionsbereit (beobachtet, Vorderfuß, KSP) Explosiver Antritt, Hohe Endgeschwindigkeit (motorische Dynamik) Viele explosive Richtungswechsel und Tempovariationen | Mbappé |
Mentalitätsspieler | Spielfreude und Einsatzwille; Initiativ und mutig; Lässt sich nicht hängen und nimmt Herausforderungen an; Reißt andere mit. | Ehrgeizig; Will gewinnen, gibt alles. Dirigiert, unterstützt Mitspieler. Fokus und Konzentration. Möchte sich immer verbessern / arbeitet an sich. | Goretzka, Rice, Gattuso, Schweinsteiger |
Schaut man sich die Aspekte und Kriterien der Talentsichtung im Fußball an, wird schnell klar, dass man in den meisten Fällen Talente nicht so einfach identifizieren kann. Talentsichtung braucht Zeit, Geduld und idealerweise mehrere Augen, Ohren und Herzen, um das Talent eines Kindes beurteilen zu können.