Die Viererkette lernen und trainieren ist eins der zentralen Themen über fast alle Altersklassen und Leistungsstufen hinweg und wird gerne ausgiebig und kontrovers diskutiert. Deshalb habe ich ein paar Informationen zu den Grundlagen der Viererkette zusammengetragen. Es geht um die Themenbereiche Abstände, Formationen und Bewegungen der Viererkette. Zum Schluss gehe ich noch auf die Bedeutung der Individualtaktik ein.
Den richtigen Abstand in der Viererkette gibt es nicht…
Ein beliebtes Thema, bei dem man immer wieder Empfehlungen hört wie: 8 bis 12 Meter oder: „nicht mehr als 10 Meter“. Was man mit solchen Empfehlungen anfangen kann? – Nichts! Denn der richtige Abstand der Spieler in einer Viererkette ist eine höchst individuelle und situative Größe. So macht es sicherlich nichts, wenn die Spieler beim Spielaufbau des Gegners mal 20 Meter auseinander stehen, wenn sie es nur schaffen, rechtzeitig wieder enger zu spielen. Und manchmal sind eben 3 Meter noch zuviel, wenn der Gegner es schafft, durch eine kleine Lücke in die Tiefe zu spielen. Wobei das dann vielleicht auch nicht die Schuld der Viererkette ist…
Immer noch häufig spielen viele Trainer mit „Durchschieben“, d.h. der ballnahe Verteidiger zieht die anderen mit auf die Ballseite, was teils zu extremem Einrücken führt (bis über die Mitte). Das ergibt meiner Ansicht nach zwei Probleme:
- bei einer Spielverlagerung durch einen Diagonalball kann der ballentfernte Außenverteidiger der Viererkette überspielt werden und der Gegner erhält ggf. durch diesen simplen Spielzug eine Torchance. Je nach Spielklasse gibt es auch genügend Außenspieler, die einen präzisen Flugball über 50-60 Meter spielen können.
- der Innenverteidiger, der weit auf die Ballseite hinaus schiebt, fehlt im Zentrum, wenn der Gegner es schafft zu Flanken oder den Ball im Anschluss nach innen zu spielen. Er bewegt sich im „luftleeren“ Raum, weil er weder am Flügel doppelt, noch das Abwehrzentrum der Viererkette verstärkt. Eigentlich verschenkt, dieser Spieler in dieser Position.
Wenn man allerdings konsequent durchschiebt, so schafft man es unter Umständen, auf der Ballseite noch besser Überzahlsituationen herzustellen. Schafft man es dann noch, Spielverlagerungen zu unterbinden, dann kann das sehr sinnvoll und erfolgversprechend sein.
Formationen der Viererkette
Die Formation, die man bei der Viererkette häufig genannt kriegt, sind die „Sichel“, wenn der Ball am Flügel ist und das Dreieck bzw. erweiterte Dreieck, wenn der Ball im Zentrum ist.
Grundsituation: Ball am Flügel
Hier gibt es aktuell drei wichtige Varianten, die in der Viererkette bei Ballposition am Flügel gespielt werden: Sichel, „L-Formation“ und starke Mitte.
Die Sichel wird bei einer Viererkette sehr häufig gespielt, oft mit Durchschieben, s.o. Der ballentfernte Spieler der Kette steht gleichzeitig am weitesten hinten, d.h. in der tiefsten Position. Das funktioniert, birgt nur mitunter die Gefahr, dass eine Abseitssitution bzw. Spiel in die Tiefe auf der Ballseite durch diesen Spieler nicht richtig beurteilt werden kann, weil er zu weit weg ist. So kann er nicht schnell genug reagieren und hebt ggf. das Abseits auf, was dem Gegner einen Freilauf auf das Tor ermöglicht.
Deshalb hat ein schlauer Kopf die L-Formation (sieht eigentlich nicht wirklich wie ein L aus…) der Viererkette entwickelt. Hier steht nicht der ballferne Außenverteidiger, sondern der ballferne Innenverteidiger der Viererkette am tiefsten. Er ist näher an der Spielsituation, kann so eine mögliches Abseitsstellen des Gegners besser steuern und außerdem bei einem Pass in die Tiefe noch eingreifen.
Wenn man in der Viererkette schon mit Begriffen aus der Landwirtschaft arbeitet, dann möchte ich das auch hier weiterhin tun, und einen neuen Begriff einführen, den „Dreschflegel“, oder das asymmetrische L. Hierbei wird nicht gleichartig verschoben, sondern der ballnahe Außenverteidiger attackiert am Flügel, die beiden Innenverteidiger der Kette bleiben im Zentrum und der ballferne Außenverteidiger steht in einer Position, in der er einen Diagonalball verteidigen kann. Dadurch entsteht eigentlich situativ eine Dreierkette, der ballnahe Verteidiger agiert quasi herausgelöst aus der Viererkette.
Grundsituation: Ball im Zentrum – Abwehrdreieck
Hierbei bildet die Kette normalerweise das bekannte Abwehrdreieck. Aktuell wird aber auch, je nach Spielweise des/der Stürmer, ein Spieler absichtlich schon früh aus der Kette herausgelöst, um einen sich häufig fallenlassenden Stürmer („falsche Neun“) früh aufzunehmen und zusammen mit dem defensiven Mittelfeld zu neutralisieren. Dahinter agiert dann wieder eine Dreierkette, die relativ eng zusammenspielt, um keine Passwege in die Tiefe zu öffnen. Hier wird im Grunde eine Schwäche (das situative Herauslösen eines Innenverteidigers aus der Viererkette) zur Stärke gemacht, da es geplant abläuft. ein Beispiel dafür war das Spiel Polen gegen Russland bei der EM:
Generell kümmerten sich die Polen sehr um eine Verengung der Viererkette bei gegnerischem Ballbesitz. Teilweise agierten sie sogar wie eine gependelte Abwehrreihe, nur der ballnächste schob heraus und die anderen Spieler schoben zusammen und präsentierten sich wie eine Quasi-Dreierkette. [Quelle: Spielverlagerung.de, 13.06.2012 | http://spielverlagerung.de/2012/06/13/polen-russland-11/]
Bewegungen der Viererkette
- Seitliches Verschieben der Viererkette (immer auf die ballnahe Seite) bei gegnerischem Spielaufbau und/oder einer Spielverlagerung
- Zurückfallen der Viererkette, wenn Ball in den Rücken der Abwehr oder ein langer Ball droht, d.h. der Gegner ist nicht unter Druck und kann den Ball kontrollieren und relativ unbedrängt spielen.
- Höhe halten, meistens beim seitlichen Verschieben, wenn der Gegner keinen Druck auf die Verteidigung ausübt und kein Steilpass in die Tiefe droht
- Vorschieben der Viererkette wenn die eigene Mannschaft Pressing spielt und der Gegner unter Druck gesetzt wird, so dass er nicht gezielt nach Vorne spielen kann bzw. nach Hinten spielen muss.
Alles in allem zeigt sich, dass das System Viererkette auf einigen einfachen Grundregeln und Bewegungsmustern basiert, die nicht schwer zu lernen sind. Die große Schwierigkeit ist, diese Muster so zu perfektionieren, dass sie auch unter großem Druck und gegen einen starken Gegner automatisch abgerufen werden können.
Viererkette trainieren: Individualtaktik ist entscheidend
Das Training der Viererkette beginnt grundsätzlich beim 1:1-Verhalten und setzt sich über die Gruppentaktik (2 gegen 2 bis 6 gegen 6) bis zur Mannschaftstaktik (8 gegen 8 bis 11 gegen 11) fort. Bei einer Mannschaft, die die Viererkette schon beherrscht, muss sie natürlich dennoch immer wieder einmal trainiert werden. Dazu gibt es auch oft genug Anlass: eine beim Gegner ausgemachte Stärke im Angriff oder der Ausfall eines Stammspielers sind schon Grund genug, sich als Trainer mal wieder mit dem Thema Viererkette zu beschäftigen.
Aus meiner Trainererfahrung kann ich berichten, dass ein Aspekt auch beim perfektesten taktischen System nicht auszuschalten ist: die individuelle Fehlerquote, z. B. beim Innenverteidiger. Ein Vereinsvorstand wollte mir weismachen, dass meine Mannschaft (damals Kreisklasse B) nur aufgrund der (von mir neu eingeführten) Viererkette „so viele“ Gegentore kassierte. Eine Analyse zeigte, dass fast alle Gegentore durch Fehler im individualtaktischen Bereich und technische Schwächen zustande kamen, die bei einem System mit Manndeckung und Libero genauso passiert wären. ;-)
Man muss sich als Fußballtrainer also immer wieder klarmachen, dass eine Kette nur so stark sein kann wie ihr schwächstes Glied!
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